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Wahrheit in Familien

Vor kurzem erzählte mir eine liebe Bekannte voller Bewunderung von einer Arbeitskollegin. Sie und ihr Mann hätten sich schon vor einigen Jahren getrennt, aber wegen der Kinder wohnten sie noch unter einem Dach. Die Kinder hätten von der Trennung nichts mitbekommen, die Eltern würden nicht streiten, sie würden gemeinsam essen und hätten weiterhin ein ganz normales Familienleben, würden abends gemeinsam fernsehen, alle Entscheidungen die Kinder betreffend gemeinsam fällen und auch zusammen in Urlaub fahren.

Wie es den Kindern denn gehe? fragte ich. Naja, meinte meine Bekannte, die seien schwierig. Der Sohn habe massive Probleme in der Schule, sei bereits einmal sitzen geblieben und falle durch sein Verhalten auf. Die Tochter, gerade in der Pubertät, würde sich hin und wieder ritzen und sonst sehr zurückziehen. Sie verbringe viel Zeit alleine in ihrem Zimmer hinter geschlossenen Rollläden. Sie habe eben eine schwierige Pubertät, Probleme mit sich selbst. In der Schule liefe es aber gut für sie. Gerade deshalb sei es ja so toll, dass die Eltern als Eltern zusammen hielten und den Kindern nun nicht auch noch eine Trennung zumuten würden.

Ich war schockiert. Einerseits darüber, dass erwachsene Menschen offensichtlich immer wieder davon ausgehen, Kinder so anlügen zu können, dass diese nichts davon mitbekommen, dass die Ehe der Eltern nur noch eine Versorgungs- und Bequemlichkeitsveranstaltung ist. Zweitens davon, wie verbreitet inzwischen bei uns die selbstverständliche Annahme ist, es sei für Kinder vor allem wichtig, in einem konflikt- und veränderungsfreien Umfeld groß zu werden. Und dass das umso wichtiger sei, wenn Kinder Probleme haben.

Umgekehrt ist es richtig: Kinder kann man nicht anlügen, wenn es darum geht, wie es um eine eigene Beziehung bestellt ist. Sie merken es, und sie reagieren darauf. Das heißt nicht, dass die Kinder ständig denken: so ein Theater! Aber sie reagieren in ihrem Verhalten darauf, sind verunsichert, bekommen Schwierigkeiten, selbst Beziehungen aufzubauen, die auf Wahrhaftigkeit gründen. Sie werden häufig auffällig. Nicht trotz des „Zusammenhaltens“ der Eltern, sondern gerade deswegen. Weil es nicht echt ist. Und genau das verunsichert tief. Kinder aber brauchen Wahrhaftigkeit, das gibt ihnen Sicherheit.

Was ist diese Sicherheit? Nun, sie bedeutet eben nicht: nichts verändert sich. Sondern: ich kann glauben, was ich sehe. Man sagt mir die Wahrheit. Ich weiß, was los ist (egal wie gut oder schlecht das ist), und deshalb kann ich darauf reagieren. Wer Kinder anlügt, und sei es „nur“ dadurch, dass er ihnen etwas Wichtiges verheimlichen will, verursacht dadurch viel gravierendere Schäden als durch einen klare schmerzhafte Ansage, die dann zu etwas Neuem führt. Geheimnisse führen dazu, dass Kinder spüren: etwas stimmt nicht. Sie trauen sich aber oft nicht zu fragen, was denn eigentlich los sei, weil die Eltern ja durch ihr Verhalten signalisieren, dass darüber nicht geredet werden soll. Ein Situation, die Kindern häufig die Luft nimmt.

Ich meine damit nicht, dass Kinder in alles eingeweiht werden sollen. Wenn Eltern Sorgen haben, dann ist es ihre Sache, sich damit zu beschäftigen und Lösungen zu finden. Wenn aber Veränderungen geschehen, die die Kinder direkt betreffen, müssen die Kinder das auch wissen. Wissen heißt: man muss es ihnen sagen. Kinder dabei um ihre Meinung zu fragen, ist falsch. Denn damit sind sie komplett überfordert! Aber sie müssen wissen, welche Rahmenbedingungen ihr Leben hat.

Das sind die Dinge, die Kinder wissen müssen:

  • wenn jemand gestorben ist (und dann sollen die Kinder auch die Gelegenheit bekommen, sich von dieser Person zu verabschieden, zum Beispiel, indem sie mit zur Beerdigung gehen)
  • wenn die Eltern sich trennen
  • wenn ein Umzug ansteht
  • wenn ein Elternteil arbeitslos geworden ist
  • wenn ein Elternteil oder jemand aus der nahen Verwandtschaft schwer erkrankt ist
  • wenn ein Geschwister unterwegs ist
  • wenn die Familie finanzielle Probleme hat und Dinge, die bisher möglich waren, nicht mehr möglich sind.

Kinder können mit viel mehr Dingen umgehen, als wir oft denken. Sie leiden unter manchem, können es aber gut verarbeiten – vorausgesetzt, man ist offen zu ihnen, hält aus, dass sie traurig sind oder Angst haben, versucht nicht zu beschwichtigen oder zu banalisieren, sondern bestätigt: ja, das ist schlimm, es tut weh. Ich bin auch traurig. Ja, wir wissen auch noch nicht, wie wir das lösen können, aber wir suchen nach Lösungen und kümmern uns. Und, gerade beim Ende einer Beziehung: es ist nicht deine Schuld.

Deshalb: mehr Wahrheit in die Familien. Unbedingt!

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