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Wie helfen wir den vielen Traumatisierten?

Über eine Million Menschen sind in den letzten beiden Jahren nach Deutschland gekommen. Nicht alle aus Kriegsgebieten. Aber doch einige Hunderttausend. Unter den Männern haben viele Gewalt erlebt oder ausgeübt. Unter den Frauen haben nach Berichten vieler Organisationen so gut wie ALLE Gewalt erlebt. Kaum eine, die während der Flucht nicht mindestens einmal vergewaltigt wurde – es wird sogar von Vergewaltigungen auf der Überfahrt in den Booten berichtet. Ganz zu schweigen von jenen, die in den hiesigen Unterkünften sehr häufig sind. Viele Frauen (sprich weibliche Menschen ab der Geschlechtsreife, also auch schon Mädchen ab ca. 12) kommen schwanger in Deutschland an. Mehrere Tausend (!) unbegleitete Kinder (vor allem jüngere) sind während der Flucht „verschwunden“. Es wird vermutet, dass die meisten von ihnen Opfer von Menschenhändlern wurden.

Außerdem waren viele Flüchtlinge unterwegs vom Ertrinken bedroht, haben miterlebt, wie Menschen starben, wurden ausgeraubt, haben Angehörige verloren und so weiter.

Nicht jeder Mensch mit solchen Erfahrungen erleidet dadurch langfristig Schaden. Wir können aber davon ausgehen, dass ein hoher Prozentsatz der Menschen, die in den letzten 24 Monaten in unser Land eingewandert sind, posttraumatische Belastungsstörungen entwickelt hat. Bemerkbar machen sich diese Störungen auf sehr vielfältige Weise, am häufigsten durch Ängste und Angstattacken, Schlafstörungen, die Unfähigkeit, sich zu entspannen oder im Gegenteil extreme Apathie und Lähmung. Ebenfalls häufig sind körperliche Schmerzen, vor allem als Folge von sexueller Gewalt. Männer, die Gewalt erfahren haben, üben häufiger als andere selbst wieder Gewalt gegen andere aus. Frauen, die Gewalt erfahren haben, erleiden sie selbstverständlicher, sind ihren Kindern gegenüber gewalttätiger oder emotional abgestumpft, oder sie sind nicht in der Lage, ihre Kinder vor der Gewalt anderer zu schützen.

Das heißt: werden diese Menschen nicht behandelt, wird die Gewalt weitergehen.

Wir kennen das aus den Erzählungen unserer Eltern, die miterlebt haben, wie sich Eltern oder Großeltern, die den Weltkrieg hautnah erlebt haben, in ihren Familien verhalten haben. Gewalt war in vielen Familien an der Tagesordnung, viele Eltern waren unfähig, ihren Kindern gegenüber Liebe zu zeigen.

Es ist also dringend nötig, dass die neu eingewanderten und beschädigten Menschen traumatherapeutisch behandelt werden. Wir hatten aber schon vorher nicht genügend fachlich versierte Traumatherapeuten in Deutschland! Das heißt: es ist niemand da, der derzeit überhaupt eine Behandlung anbieten kann. Die Praxen der Spezialisten sind bereits seit Jahren voll, Betroffene mussten schon bisher monatelang auf eine Behandlung warten. Und selbst wenn es freie Kapazitäten gäbe – eine klassische Traumatherapie wäre für die meisten wegen sprachlicher Barrieren nicht möglich. Außerdem sind die bisherigen Behandlungsansätze derzeit sehr zeitintensiv.

Würden wir wie bisher behandeln wollen, bräuchten wir sofort mindestens 25.000 zusätzliche Traumatherapeuten, die alle mindestens eine weitere Sprache ihrer Patienten fließend sprechen können. Im Durchschnitt dauert die Ausbildung eines Traumatherapeuten einschließlich Studium derzeit 8 Jahre.

Die Krisenteams von Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder die UNICEF, die ähnliche Situationen aus Einsatzgebieten zum Beispiel in Afrika kennen (derzeit zum Beispiel im Kongo, wo ebenfalls Hunderttausende Menschen jährlich Opfer von massiver Gewalt werden), bilden vor Ort einheimische Helfen in schnell wirksamen Verfahren aus, auch wenn diese keine psychologische Grundausbildung haben. Erste Erfahrungen haben Kolleginnen nach dem brutalen Bürgerkrieg auf dem Balkan gemacht: dort wurden vergewaltigte Frauen mit EMDR behandelt. Jede der Frauen bekam zweimal Behandlungseinheiten. Die Symptome gingen im Durchschnitt stark zurück, so dass die meisten der Frauen wieder in ein normales Leben zurückkehren konnten und sich von den schlimmen Erfahrungen lösen konnten.

Was wir in Deutschland bräuchten: Fachleute bilden interessierte und stabile Menschen in den Flüchtlingsunterkünften in diesen Kurzzeit-Verfahren aus. Frauen für die Behandlung traumatisierter Frauen, Männer für die Behandlung von Männern. Das wäre möglich in Wochenendkursen, in denen ein Dolmetscher bei der Wissensvermittlung hilft. So könnte ein System installiert werden, das allen beschädigten Menschen in überschaubarer Zeit die Möglichkeit gibt, Hilfe zu erhalten und von ihren Traumata zu genesen.

Das ist aber in Deutschland derzeit nicht erlaubt. Traumatherapie darf nur von ausgebildeten Ärzten oder Psychotherapeuten durchgeführt werden. Laien dürfen zwar eine Beratung durchführen – diese kann aber die Traumatisierungen nicht heilen, sondern höchstens das Gefühl vermitteln, mit den eigenen Erfahrungen nicht alleine zu sein. Das erleichtert, schützt aber nicht davor, dass die Folgen der Traumata an die nächste Generation weitergegeben werden. Wir brauchen ein Umdenken. Natürlich haben all jene Recht die sagen, dass bei der Durchführung von Traumaverfahren durch Laien häufiger etwas schief geht als bei der Behandlung durch Profis. Dass sie nicht so erfolgreich sind wie langjährig ausgebildete Therapeuten. Das stimmt. Gleichzeitig denke ich: wenn 7 von 10 Traumatisierten in kurzer Zeit geholfen werden könnte und davon vielleicht sogar einige vollständig genesen, während andere „nur“ Linderung erfahren, ist das doch viel besser als gar nichts zu tun.

Können wir es uns denn wirklich leisten, diese Hunderttausende unbehandelt zu lassen? Ich denke nicht.

 

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