Narzissten sind Menschen im Gemüsezustand, meinte kürzlich fröhlich ein Kollege. Er hat Recht! Aber fangen wir von vorne an:
Mit Narzissten meinen wir solche Menschen, die von allen sich selbst am meisten lieben. Der Ursprung dieser Bezeichnung liegt in der griechischen Mythologie. Narkissos, der schöne Sohn von Leiriope und dem Flussgott Kephissos hat die Liebe anderer Menschen zurückgewiesen, weil er sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt hat.
Da jeder Mensch sehen möchte, was er liebt, brauchen Narzissten einen Spiegel. Dieser Spiegel sind bevorzugt die Menschen in der näheren Umgebung des Narzissten (DER Narzisst kann natürlich auch eine Frau sein!): Dadurch, dass sie ihm spiegeln, wie toll er ist, zum Beispiel durch ihre Bewunderung, fühlt er sich gut. Bekommt er aber keine Bewunderung, kann er zu einem sehr unangenehmen Zeitgenossen werden. Überhaupt ist das Zusammenleben mit einem Narzissten meist anstrengend. Er braucht immer Bestätigung, dann geht es ihm gut, und dann geht er auch gut mit seinen Liebsten um. Menschen, die mit Narzissten leben, müssen also viel „liefern“ und dem Narzissten den Platz im Mittelpunkt oder im Scheinwerferlicht überlassen.
Damit steht eine Beziehung mit einem Narzissten im Kontrast zu dem, was wir in der Regel unter ausgeglichenen menschlichen Beziehungen verstehen: Ein Miteinander auf Gegenseitigkeit. Eine Beziehung auf Augenhöhe. Eine solche kann man mit einem Narzissten nicht führen. Er ist zwangsläufig die Person in der Beziehung, die höher steht, dem Partner oder Freunde Bewunderung zollen. Die braucht der Narzisst. Denn eigentlich verhält er sich wie eine Pflanze, wie Gemüse, oder wie eine Blume:
Scheint die Sonne, geht die Blume auf. Wird es dunkel, schließt sich die Blume. Ein Narzisst braucht in Beziehungen ständige Aufmerksamkeit. Steht nicht er, sondern jemand anders im Licht, ist es bei ihm dunkel. Bei ihm geht das Licht aus. Er hat kein eigenes. Er ist in dieser Hinsicht ein ständig hungernder Zeitgenosse, ständig auf das Licht der Aufmerksamkeit angewiesen und auch ein armer Tropf. Weil er nie wirklich satt wird, weil er durch Aufmerksamkeit nicht lernt, sich selbst zu leuchten, in sich selbst hell zu bleiben, unabhängig vom Wetter und sich unabhängig zu machen in seinem Selbstgefühl von den Spiegelungen von außen, ist er für seine Umgebung so anstrengend. Sobald er kein Licht bekommt, wird er missmutig, und je nach Naturell kann er sich dann zurückziehen, Streit anfangen, Vorwürfe machen, manipulieren oder auf anderem Weg versuchen, die verloren gegangene Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. Notfalls mit Gewalt. Wird einem Narzissten das Licht entzogen, sieht er das nämlich häufig als aggressiven Akt, als Beweis von Licht-Liebe oder den anderen als Ignoranten, der nicht versteht, dass der Narzisst nun gerade etwas braucht, und er reagiert entsprechend heftig.
Ich werde manchmal gefragt, ob es möglich ist, mit einem Narzissten eine Beziehung zu führen. Ja, natürlich ist es das. Allerdings sollte sich, wer mit einem Narzissten zusammenlebt, bewusst sein, dass die Beziehung nur so lange harmonisch ist, wie er selbst in der zweiten Reihe bleibt, Bedürfnisse zurückstellt und dem Narzissten seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. Eine Beziehung ist also möglich, sie hat aber auch ihren Preis: Narzissten lieben sich selbst am meisten und ihren Partner immer erst an zweiter Stelle. Sie lieben ihn als Spiegel, aber nicht wirklich als die Person, die er wirklich ist. Wer damit zufrieden ist, kann gut ein Leben lang mit einem Narzissten auskommen. Denn Narzissten geben auch etwas zurück, und gerade Menschen mit geringem Selbstvertrauen profitieren oft von ihrer Gegenwart: Da Narzissten häufig im Mittelpunkt oder in der Öffentlichkeit stehen und sich selbst gut verkaufen, oft auch erfolgreich sind, kann man sich an ihrer Seite gut mitsonnen, ohne sich selbst dafür exponieren zu müssen. Man bekommt von dem vielen Licht, das Narzissten einfordern, etwas ab.
Partner von Narzissten müssen sich dadurch auch nicht mit ihrer Persönlichkeit, mit ihrer Verletzlichkeit und mit ihren Selbstzweifeln in der Partnerschaft auseinander setzen, weil der Narzisst sich dafür nicht interessiert und es auch nicht fordert. Das hat trotz aller Nachteile auch etwas Bequemes.
Wem das als Partner eines Narzissten nicht mehr behagt, hat meist wenig Erfolg damit, wenn er den Narzissten in Therapie schicken möchte. Narzissten sind ja per Definition wirklich davon überzeugt, wundervoll zu sein und Bewunderung zu verdienen, dass sie überhaupt nicht verstehen können, weshalb sie etwas an sich verändern sollten. Wenn es Probleme gibt, muss sich der Partner ändern (mit dieser Haltung sind aber Narzissten nicht alleine!)
Es gilt hier mehr als sonst wo eine der klügsten Devisen aus der Psychologie: Arbeiten muss immer derjenige, der leidet! Ist das der Partner des Narzissten, sollte auch der sich Unterstützung suchen. Alles andere bringt Frust.