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Autonomie ist oft pseudo

Mit der Autonomie ist es so eine Sache. „Selbstbestimmung“ könnte man sie nennen, streng genommen bedeutet das aus dem Griechischen stammende Wort: „dem eigenen Gesetz folgend“. Also, meinte kürzlich eine Bekannte: „tun, was man selbst will.“ Stimmt im Prinzip.

So einfach ist es aber nicht. Denn das, wovon wir glauben, dass wir es wollen, ist ganz häufig unbewusst ferngesteuert, und zwar aus der Vergangenheit. Wie das geht? Also, ich probiere es an einem Beispiel: Fritz hatte als Kind eine sehr ordentliche Mutter. Ständig musste er aufräumen, und nicht nur sein eigenes Zimmer, sondern auch das Wohnzimmer, und jeden Samstag musste er den Hof fegen. Das mochte er gar nicht, und im Lauf der Jahre bildetet sich in seinem Innern ein immer stärkeres Gefühl des Widerstandes. Das kann man verstehen. Er fegte trotzdem, äußerlich maulend, scheinbar nachgiebig, aber innerlich brodelte es. Er hasste das, spuren zu müssen, wenn seine Mutter das wollte und ständig Aufgaben zu erledigen, die er nicht als seine empfand.

Irgendwann war Fritz erwachsen und zog aus. Wunderbar, könnte man glauben, jetzt hat sich der Zwang zum Aufräumen ja erledigt. Was wir leicht vergessen: Seine Erfahrungen als Kind haben Fritz geprägt, seine Persönlichkeit mit bestimmt, und er ist nun ein Erwachsener geworden, der sich zum Beispiel sehr schnell dagegen sträubt, wenn ihm jemand eine Aufgabe aufdrücken möchte. Ganz automatisch taucht dann das Gefühl auf, das er als Kind hatte, wenn er fegen oder viel ordentlicher aufräumen sollte als er das wollte. Fritz fühlt dann das innere Brodeln, mault und sagt meistens, weil er erwachsen ist, „Nein!“. Bei der Arbeit sagt er „Ja“, aber nur äußerlich. Innerlich spürt er einen enormen Widerstand. Deshalb hat er bereits einmal eine Arbeitsstelle verloren: Er erledigte bestimmte unangenehme Aufgaben nicht, die zu seinem Arbeitsgebiet gehörten, weil sein Vorgesetzter sie ihm deutlich abverlangte. Er sagte zwar oberflächlich „ja“, tat es dann aber nicht.

Stellen wir uns nun vor, dass Fritz, naturliebend, am Wochenende durch den Wald wandert. Er sieht eine leere Coladose am Wegrand liegen. Er ist der Meinung, dass leere Coladosen nicht in den Wald gehören. Er spürt den spontanen Impuls, die Dose aufzuheben und in seinen Rucksack zu tun, um sie bei nächster Gelegenheit in den Müll zu werfen. da entspinnt sich in seinem Kopf folgendes Selbstgespräch:

„Wer bin ich denn, dass ich anderer Leute Müll aufheben soll? ich bin doch nicht der Depp.“

„Aber eigentlich ist es kein großer Aufwand.“

„Nicht zu fassen, dass die Leute ihren Müll einfach wegwerfen. Wie kann man nur so blöd sein. Die sollten nicht in den Wald dürfen. Unfassbar.“

„Heb die Dose auf, das ist doch nicht viel Aufwand!“ (nun ist er bereits einige Meter an der Coladose vorbeigelaufen)

„Wie sieht das denn aus, wenn du nochmal umdrehst – total lächerlich.“

„Naja, ist ja auch nicht meine Aufgabe“

„Eigentlich hätte ich sie doch aufheben sollen…“

Und Fritz wandert weiter, die Coladose liegt weiterhin im Wald.

Fritz hat selbst entschieden, sie liegen zu lassen, niemand hat ihm etwas vorgeschrieben. Aber hat er wirklich nach seinem eigenen tiefen inneren Willen gehandelt?

So geht es uns ganz oft. Wir entscheiden etwas, aber nicht immer ist es das, was uns innerlich wirklich am besten entspricht. Viele alte Prägungen beeinflussen unsere Entscheidungen, und was wir als Freiheit erleben ist oft nicht mehr als ein Ferngesteuertsein aus der Vergangenheit. Das passiert, wenn wir in Streit geraten, wenn jemand etwas von uns will, wenn niemand etwas von uns will, und sogar auf der Autobahn.

Sei mal aufmerksam, ob dir bei dir Situationen auffallen, in denen es dir so geht. Ich habe Dialoge ähnlich wie bei Fritz in vielen Situationen erlebt und lange gar nicht gemerkt, dass nicht wirklich Ich da entschieden habe. Inzwischen hebe ich die Coladose im Wald auf, einfach, weil ich einen Wald ohne Müll schöner finde.

 

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