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Ängste und Angsterkrankungen

Jeder Mensch hat manchmal Angst. Manche Ängste sind gesund. Wenn wir den Fuß heben, auf dem Boden eine Schlange sehen und panisch zurückschrecken, rettet uns diese Angst vielleicht das Leben. Passiert uns das Gleiche mit einer Ameise,ist das weniger gesund.

Angst ist nicht an sich schlecht oder gut. Die entscheidende Frage ist: Ist eine Angst hilfreich, steht sie im Dienst des Lebens? Oder macht sie das Leben schwer, hindert sie lebendige Entfaltung?

Grundsätzlich unterscheide ich nach diesen Kriterien drei Arten von Ängsten:

Ängste, die schützen und uns dazu bringen, aus einer gefährlichen Situation herauszugehen oder uns abzusichern, zum Beispiel beim Bergsteigen.

Ängste, die in Situationen auftauchen, die eigentlich gut für uns sind, oder ungefährlich: Höhenangst, Angst auf die Straße zu gehen, Angst vor einer Maus, Angst vor Kritik.

Ängste, die Schwellen anzeigen, also Etappen, die uns in neue Lebensumstände bringen, die uns verändern werden. Das sind Entwicklungsängste, vergleichbar mit dem was passiert, wenn eine Schlange sich häutet, weil die alte Haut zu eng geworden ist. Wir wissen nicht, ob das Häuten für die Schlange angenehm ist. Diese Ängste tauchen immer vor wichtigen Veränderungen auf. Sie verschwinden nicht, sondern bleiben, bis wir den Veränderungsschritt gemacht haben. Das heißt, in diesen Situation müssen wir durch die Angst durch – eine andere Möglichkeit nicht. Scheuen wir den Schritt, knicken wir vor der Angst ein, wachsen wir nicht.

Schauen wir uns nun die „ungesunden“ Ängste ein bisschen näher an, die, von denen wir als Problem sprechen oder Erkrankung. Wenn Menschen unter Ängsten leiden, die ungesund sind, und so bedeutend, dass sie bestimmte deskriptive, also beschreibende (also nicht ursächliche!!!) Kriterien erfüllen, spricht man von einer Angsterkrankung. Diese Kriterien sind in einem Handbuch festgeschrieben, dem ICD-10 und dort nach Buchstaben und Zahlen verschlüsselt.

„F40“ bedeutet zum Beispiel „phobische Störung“. Danach wird durch eine weitere Ziffer spezifiziert. „F40.1“ bezeichnet eine Agoraphobie, also eine Platzangst. Mit „F40.2“, „spezifische (isolierte) Phobie“ würde man die berühmte Angst vor der Maus oder vor Hunden beziffern. Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Symptome unter dieser Ziffer eingeordnet werden können, steht ebenfalls im ICD-10. In den USA wird anstelle des ICD-10 meist ein anderes Diagnosehandbuch verwendet, der DSC4-R. Er hat teilweise andere Kategorien und bildet in manchmal Fällen detaillierter ab.

Allerdings ist die Diagnostik oft schwierig. So kann eine Panikstörung ohne vorheriges Trauma die gleichen Symptome zeigen wie eine Traumafolgestörung, die sich eben auch durch Ängste äußern kann. Die Diagnoseziffern unterscheiden sich aber, und nicht immer wird gleich die richtige gewählt. Die Panik kann einzeln entstehen, zum Beispiel als Folge einer bestimmten Situation, aber auch vor dem Hintergrund einer stark unsicheren Persönlichkeit. Auch das sollte in die Diagnose einfließen. Erschwerend für die Fachleute kommt dazu, dass auch stark erhöhte Schilddrüsenwerte und einige weitere körperliche Erkrankungen zu den gleichen Symptomen führen können. Es ist also immer eine sehr sorgfältige Diagnostik nötig, die im Idealfall auch von einer körperlichen Untersuchung gestützt wird.

Die richtige Einordnung der Angst ist für die Behandlung wichtig. Haben Paniksymptome ihre Ursache in einer Schilddrüsenerkrankung, muss diese behandelt werden. Psychotherapie hilft nicht. Sind Panikattacken posttraumatisch, muss das Trauma behandelt werden. Sonst helfen weder Therapie noch Entspannungstraining. Leidet man unter einer Panikstörung ohne traumatischen Hintergrund, hilft Verhaltenstherapie gut, oder auch ein körperorientiertes Verfahren. Die Wahl der Methode richtet sich im Idealfall nach der Person und der Vorgeschichte der Störung.

Trotz dieser Komplikationen ist wichtig zu wissen:

Therapierbar sind alle Ängste, egal ob sie posttraumatische oder psychische Hintergründe haben. Eine Diagnose ist also nicht unabänderliches Schicksal, sondern Aufforderung, etwas Verschiedenes zu verändern, im Außen oder im Innen. Nicht immer finden Betroffene auf Anhieb gleich den richtigen Weg – das bedeutet dann aber nicht, dass die Angst nicht heilbar ist. Es bedeutet nur, dass es der falsche Weg war und man einen anderen ausprobieren sollte. Ich habe in meiner Hypnoseausbildung eine Faustregel gelernt, die ich immer noch für sehr vernünftig halte: Wenn sich nach dem dritten oder spätestens vierten Termin einer Therapie oder eines Coachings nichts (also gar nichts) verändert hat, verändert sich auch nach dem vierzigsten nichts. In diesem Fall sollte man einen anderen Weg probieren, anstatt noch mehr Zeit zu verlieren.

 

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