Gerade hat mich zum zweiten Mal diesen Monat die Bild online zu einem Thema rund um Kinder und Jugendliche interviewt. Was, du schreibst für die Bild, wurde ich ein paarmal gefragt? Klar, habe ich gesagt. Ich finde es gut, wenn wichtige Inhalte erscheinen. Und ich freue mich, dass die Bild sie bringt.
Diese Woche ging es um die Frage, ob Eltern ihren jugendlichen Kindern die eigenen Jugendsünden „beichten“ sollen. Ich finde ja, mit einer Beichte hat das wenig zu tun. Schließlich geht es nicht darum, dass unsere Kinder uns Absolution erteilen. Eher staunen sie, dass ihre so ur-alten und langweiligen oder peinlichen Eltern früher mal Bockmist gebaut haben.
Jugendsünden meinen dabei Dinge wie Vollrausch, Drogenerfahrungen, dem Kumpel die Freundin ausgespannt, fremd gegangen, im falschen Bett gelandet, betrunken Auto gefahren, in der Schule gespickt, getrickst oder gelogen, oder geklaut, etwas kaputt gemacht, randaliert und so weiter. Vielleicht die falsche Partei gewählt, einer Sekte angehört, geprügelt und so weiter. Eben all das, war Eltern am liebsten vergessen möchten.
Dieses Vergessen möchten hat meistens ZWEI Gründe. Der erste liegt auf der Hand: Vieles, was wir früher gemacht haben, ist uns aus heutiger Sicht eher peinlich. Das würden wir nicht mehr tun, und wir finden es nicht gut. Der zweite Grund liegt in unseren Kindern: Wenn wir daran denken, was wir früher angestellt haben, ist nahe liegend, dass auch unsere Kinder den ein oder anderen Mist bauen werden. Wenn wir daran denken, was bei uns alles hätte passieren können, bekommen wir Angst. Wir möchten nicht, dass unseren Kindern etwas passiert, alleine schon die Vorstellung quält uns. Also möchte wir gerne glauben, dass es das geben kann: Eine Jugend ohne Gefahren. Auch wenn wir tief in uns wissen, dass das eine Illusion ist. Und auch unsere Kinder, egal wie vernünftig sie sein mögen, den ein oder anderen Mist bauen werden.
Sollen wir uns also als unbefleckte Vorbilder geben? Oder ehrlich erzählen, wie unsere Jugend war?
Ich kenne Erwachsene, die das tun. Und ganz ehrlich: Ich glaube ihnen kein Wort. Ich habe auch als Kind Erwachsene gekannt, die sich als solche moralischen Vorbilder gegeben haben. Sie waren mir immer unheimlich, vor ihnen hatte ich Angst. Und ich bin sicher: Niemals hätte ich mich ihnen mit einem Problem anvertraut. Denn meistens hat man selbst etwas dazu getan, um das Problem zu bekommen. Wenn das so ist, erwartet man kein Verständnis und auch keine Unterstützung von jemandem, der Probleme nur mit dem erhobenen Zeigefinger behandelt und selbst wie ein Heiliger lebt.
Sogar der Dalai Lama erzählt ganz freimütig von den Streichen, die er als kleiner Junge gespielt hat und von den Mühen und dem Widerstand, den er oft gespürt hat, wenn er seiner intensiven Ausbildung folgen musste. Menschen, die selbst, als sie jung waren, die ein oder andere Regel gebrochen haben, sind bessere Ansprechpartner für Jugendliche.
Stell dir vor, du behauptest deinen Kindern gegenüber, in der Schule immer gut gewesen zu sein. Die 5 in Latein verschweigst du ihnen. Und dann finden sie eines Tages deine Zeugnisse. Du hast für die nächsten Jahre alles Vertrauen verspielt.
Natürlich sollst du nicht deinen Kindern gegenüber mit deinen früheren Untaten prahlen. Denn wenn du damit angibst, benimmst du dich selbst pubertär und fällst aus der Rolle, in der du Vorbild und Ratgeber sein kannst. Das brauchen Jugendliche noch genauso wie kleinere Kinder (auch wenn sie es nicht danken!).
Also, was tun? Wenn Kinder fragen oder ein Thema in ihrem Leben aktuell wird, solltest du ehrlich sagen, dass du selbst auch mal betrunken warst, oder selbst auch mal beim Spicken in einer Klassenarbeit erwischt wurdest. Deshalb bist du noch lange kein schlechtes Vorbild für Jugendliche. Du wirst ganz im Gegenteil zu einem guten Vorbild, vorausgesetzt, du vergisst den zweiten Teil nicht. Der besteht darin, aus deiner heutigen Sicht auf die damaligen Pannen oder Untaten zu schauen.
Das kann bedeuten, dass du deinen Kindern erzählst, dass du mit deiner damaligen Clique ziemlich viele Drogen probiert hast. Und unendlich dankbar bist, dass du nichts Übles erwischt hast oder von jedem Trip wieder runtergekommen bist. Dass du aber einen deiner Freunde an die Drogen verloren hast. Was ihm passiert ist, darfst du ruhig berichten, und auch, wie das für dich war oder ist. Denn gerade hier zeigen deine Emotionen deinen Kindern, wie ernst diese Themen zu nehmen sind. Das bewirkt viel mehr bei ihnen als vernünftige Argumente.
Das Gleiche betrifft alle anderen Themen: Ehrlich sagen, was war, auch wenn du nicht ins Detail gehst. Dass es früher andere Partner gab, sollten Kinder wissen, und bei den wichtigen sollten sie auch wissen, wer das war. Was du mit diesen ehemaligen Partner ganz genau gemacht hast, vielleicht sogar im Bett, das geht Kinder wiederum überhaupt nichts an. Sie sind ja nicht deine Vertrauten – sondern eben deine Kinder.
Hast du mal die Unterschrift deiner Eltern gefälscht, solltest du deinen Kindern ohne Stolz darüber erzählen. Sondern eben auch, wie groß deine Angst war, jedes Mal, wenn deine Eltern deine Lehrer trafen und du Sorge hattest, die Fälschung könne aufgeflogen sein.
Also: Berichten, wenn es Thema ist. Ehrlich, sachlich und selbstkritisch. Keine Generalbeichte, im Sinn von: Jetzt ist es raus! Aber auch keine Lügen und Schönfärberei.